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Rechtsanwalt Sattelmaier zu Ulmer Urteil: "Ein Tritt der Verachtung gegenüber dem Versammlungsrecht"

Eine Mandantin des Strafverteidigers Dirk Sattelmaier hatte ein Video mit einer offenbar rechtswidrigen polizeilichen Maßnahme auf einer Demonstration im Internet geteilt. Dafür wurde sie in zweiter Instanz verurteilt. Für den Rechtsanwalt ist das nicht mit geltendem Recht vereinbar.
Rechtsanwalt Sattelmaier zu Ulmer Urteil: "Ein Tritt der Verachtung gegenüber dem Versammlungsrecht"© Screenshot, Youtube Kanal Rechtsanwalt Dirk Sattelmaier / https://www.youtube.com/watch?v=0E3YQfOsbP0

Von Felicitas Rabe

Am Dienstag bestätigte das Landgericht Ulm in zweiter Instanz die Verurteilung einer Angeklagten. Die Frau hatte eine offenbar rechtswidrige Polizeimaßnahme, die auf einer Versammlung gefilmt wurde, im Internet geteilt. In erster Instanz hatte das Amtsgericht Göppingen die Verbreitung des Videos als rechtswidrig und somit strafbar erachtet.

In seiner Dokureihe "Neues aus dem Gerichtssaal" erläutert Rechtsanwalt Dirk Sattelmaier, warum dieses Gerichtsurteil nach seiner Auffassung einen "Tritt der Verachtung gegenüber dem Versammlungsrecht" darstellt.

Was war passiert? Bei einer Versammlung im Frühjahr 2021 wurde ein Versammlungsteilnehmer zur Identitätsfeststellung durch die Polizei aus der Versammlung weggeführt. Als die Polizei ihn in das Dienstfahrzeug verfrachten wollte, soll es zu einer Widerstandshandlung des Teilnehmers gekommen sein. Diese Sequenz hatte die Angeklagte geteilt.

Handelt es sich um Zeitgeschichte, dürfen Bildnisse nach dem Kunsturhebergesetz verbreitet werden

Zunächst stelle die Verbreitung von Bildnissen ohne das Einverständnis der Betroffenen nach § 33 Kunsturhebergesetz (KunstUrhG) tatsächlich eine Straftat dar, erklärte der Anwalt die grundsätzliche Gesetzeslage. Allerdings gebe es davon eine Ausnahme, "wonach man Bildnisse sehr wohl auch ohne Einverständnis verbreiten darf, wenn es sich um Zeitgeschichte handelt – § 23 Abs. 1 Ziffer 1 KunstUrhG".

Dies habe Sattelmaier vor Gericht vorgetragen und dabei auch rechtlich begründet, warum es sich im Fall dieser Polizeimaßnahme um Zeitgeschichte handelt: Die Maßnahme der Polizei sei ganz offensichtlich rechtswidrig gewesen. Dazu habe er dem Landgericht Ulm eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG 1 BvR 1090/06 Beschl. v. 30.04.2007) vorgelegt.

In diesem höchstrichterlichen Beschluss sei genau definiert, wann die Verbringung eines Teilnehmers aus der Versammlung als polizeiliche Maßnahme auf einer Versammlung rechtswidrig ist. Und nach diesen vom Bundesverfassungsgericht festgelegten Kriterien sei die Maßnahme, die die Polizei – wie im Video dokumentiert – auf der Versammlung in Göppingen gegen den Demonstranten angewandt habe, zweifellos rechtswidrig.

Bei der Einschätzung, warum es sich hier um Zeitgeschichte handele und warum in diesem Fall die Persönlichkeitsrechte der abgebildeten Beamten hinter dem Interesse der Öffentlichkeit am rechtswidrigen Verhalten der Polizei zurücktreten müssen, stehe für den Strafverteidiger ganz klar fest:

"Bei rechtswidrigen Polizeimaßnahmen hat die Öffentlichkeit ein Recht, davon zu erfahren."

Warum ist die Polizeimaßnahme rechtswidrig?

Nach dem deutschen Versammlungsrecht dürfe die Polizei auf Demonstrationen und Versammlungen Teilnehmer nicht einfach aus einer Versammlung herausholen, erklärt der Kölner Jurist die Rechtslage. Erst nachdem eine Versammlung formal aufgelöst worden sei – ob durch die Polizei oder den Versammlungsleiter oder nachdem ein Teilnehmer einen Platzverweis vom Versammlungsgelände erhalten habe –, erst dann dürfe die Polizei auf Teilnehmer zugreifen, die zuvor an der Versammlung teilgenommen hätten. Bis dahin seien die Teilnehmer durch das Versammlungsrecht geschützt. Dies stehe auch so im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2007. Seine Mandantin habe in dem von ihr geteilten Video den rechtswidrigen Zugriff der Polizei auf einen Versammlungsteilnehmer verbreitet. Dieses Ereignis der Zeitgeschichte dürfe nach geltender Rechtsprechung der Öffentlichkeit nicht vorenthalten werden.

Gericht ignoriert den Vortrag des Verteidigers

All dies habe Sattelmaier vor dem Schöffengericht in Ulm vorgebracht. An keiner Stelle sei der Vorsitzende Richter in seiner Urteilsbegründung auf die Darstellung der Verteidigung eingegangen. Das sei auch seiner Mandantin aufgefallen. Der Richter habe ohne große Begründung das Urteil aus der ersten Instanz bestätigt und im Wesentlichen nur dargelegt, warum die Strafkammer das Strafmaß verringert hat. Am Ende seiner Bewertung hält der Anwalt fest:

"Dies ist ein Tritt der Verachtung gegenüber dem Versammlungsrecht!"

"Wenn polizeiliche Maßnahmen auf Demonstrationen, die rechtswidrig sind, nicht mehr ohne Einverständnis der Polizeibeamten gezeigt werden können und wenn es sich dabei nicht um Zeitgeschichte handelt – dann kann man das Versammlungsrecht auch ganz begraben."

Der Rechtsanwalt und seine Mandantin werden das Urteil auf dem Weg der Revision anfechten und den Fall vor das zuständige Oberlandesgericht bringen.

Der Kölner Rechtsanwalt Dirk Sattelmaier berichtet auf seinem Telegramkanal und auf Youtube in der Videoreihe "Neues aus dem Gerichtssaal" regelmäßig von besonderen Gerichtsverfahren und von Fällen, die er als Strafverteidiger vertritt.

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