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Nach dem Scheitern der ukrainischen "Gegenoffensive": Westen auf der Suche nach neuen Strategien

Die USA ändern ihre Strategie zur Unterstützung der Ukraine in den kommenden Jahren. Vorgesehen sind die militärische und wirtschaftliche Unterstützung, Verzicht auf Rückeroberung verlorener Gebiete und Angriffe durch Waffen mit großer Reichweite. Russland muss sein Vorgehen entsprechend anpassen.
Nach dem Scheitern der ukrainischen "Gegenoffensive": Westen auf der Suche nach neuen StrategienQuelle: AP

Von Andrei Restschikow

Im Frühjahr werden die USA eine neue Strategie der Unterstützung der Ukraine für kommende zehn Jahre vorlegen. Wie die Zeitung The Washington Post berichtet, sieht der Plan nicht mehr eine Rückeroberung der verlorenen Gebiete vor, sondern eine Verteidigung "zur Abwehr neuer russischer Offensiven" sowie eine Stärkung der ukrainischen Streitkräfte und Wirtschaft.

Wie die Zeitung erklärt, habe sich die Strategie des Jahres 2023, die eine Personalausbildung und Übergabe von neusten Waffen an das ukrainische Militär für eine Offensive "an allen Frontabschnitten" vorsah, als ein Fehlschlag erwiesen. Nun will der Westen von Kiew, dass man sich stärker auf Angriffe aus großer Distanz – darunter unter Einsatz von britischen bzw. französischen Marschflugkörpern Storm Shadow/SCALP-EG – sowie auf Aktionen gegen Russlands Schwarzmeerflotte sowie auf Sabotageakte konzentriere.

Quellen in der Administration des US-Präsidenten Joe Biden berichteten der Zeitung, dass von der Ukraine erwartet werde, dass sie ihre Stellungen an der Front halte und zum Ende von 2024 einen neuen Weg einschlage, damit sie mit aktiver britischer und französischer Unterstützung "bedeutend stärker" werde. Die neue Strategie sieht eine Unterstützung des ukrainischen militärisch-industriellen Komplexes und der politischen Reformen zur vollständigen Integration in westlichen Institutionen vor. US-Analysten pochen darauf, der Ukraine zusätzliche Luftabwehrmittel zu übergeben.

Vom Übergang des ukrainischen Militärs zur "aktiven Verteidigung" – nach der gescheiterten Gegenoffensive – hatten zuvor bereits britische Medien berichtet. Die Zeitung Financial Times führte aus, dass die neue Strategie im Halten von Verteidigungslinien und im Herausfinden von Schwachstellen für anschließende Angriffe aus großer Reichweite bestehe. Dies solle es Kiew nach Schätzung der Quellen der Zeitung ermöglichen, "Kräfte zu sammeln" und "sich auf das Jahr 2025 vorbereiten, wenn eine Gegenoffensive mehr Chancen habe".

Jedoch bleibt die Frage nach militärischer Unterstützung des Kiewer Regimes durch den Westen unbeantwortet. Laut Financial Times könne Washington kaum einen "Durchbruch in Fähigkeiten und Technologien" anbieten, der dem Kiewer Regime ermöglichen würde, im Jahr 2024 "endgültig die Überlegenheit wiederzuerlangen".

Experten sind der Ansicht, dass der Westen aus der gescheiterten ukrainischen Gegenoffensive seine Schlüsse gezogen habe und eine militärische Niederlage der Ukraine verhindern wolle. "Ziele und Aufgaben der neuen Herangehensweisen bestehen darin, den Kern des Selenskij-Regimes zu erhalten, unter anderem durch bestimmte politische und militärische Transformationen. Die USA wollen weiterhin erreichen, dass die Ukraine keine militärische Niederlage erleidet", erklärt Igor Korotschenko, der Chefredakteur der russischsprachigen Zeitschrift Nationale Verteidigung.

"Es ist offensichtlich, dass die Personen, die sich im Pentagon und der CIA mit der Ukraine beschäftigen, den Verlauf und den Misserfolg der ukrainischen Gegenoffensive analysiert haben. Die USA halten es für möglich, dass Russland seine militärischen Erfolge auf dem Schlachtfeld verwertet und die spezielle Militäroperation intensiviert, wodurch der Ukraine katastrophalen Folgen drohen. Deswegen ändert man die Taktik und die Strategie. Die Aufgabe besteht inzwischen darin, die Ukraine in der Form zu erhalten, in der sie sich heute befindet – im Hinblick auf ihre heutigen De-facto-Grenzen zu Russland – und zu erreichen, dass die Ukraine in diesem Jahr militärisches Potential sammeln und es nicht bei ununterbrochenen erfolglosen Angriffsversuchen verschwenden könnte", fügt Korotschenko hinzu.

Demnach zeuge der Wunsch der USA, die Rüstungsproduktion in der Ukraine zu unterstützen und das Land mit neuen Waffen, darunter Waffen mit großer Reichweite, zu versorgen, von langfristigen pragmatischen Interessen der USA und des Westens insgesamt. "Natürlich muss Russland, das den Plan des Gegners versteht, den Kurs und die Ziele der speziellen Militäroperation anpassen, um sowohl Kiew als auch Washington als auch Brüssel daran zu hindern, die verlautbarten strategischen Pläne umzusetzen", betont der Militäranalyst.

Die Ansicht, dass Washingtons Position zur Ukraine konsequent sei, teilt auch Oberst a. D. Andrei Koschkin, der Leiter des Lehrstuhls für politische Analyse und sozialpsychologische Prozesse der Russischen Plechanow-Wirtschaftsuniversität. "Streitkräfte der Ukraine, die der Westen für die besten Stellvertreter-Truppen in Europa hält, sind bei ihrer 'Gegenoffensive' gescheitert. Im Sommer war sich die ganze westliche Welt mit den USA an der Spitze zu 100 Prozent sicher, dass das ukrainische Militär auf der Krim einmarschieren und nicht nur bis zum Asowschen Meer vorrücken, sondern auch quasi Moskau fast erreichen würde. Doch das gelang nicht. Für eine Großmacht, die die Rolle eines Welthegemonen für sich beansprucht, ist es eine Schande", erklärt Koschkin.

Der Experte merkt noch an, dass "nach einer moralischen und informationellen Blamage das Paradigma gewechselt" werden müsse. "Die Aufgabe, Russland zu zermürben und zu besiegen, wird durch das Paradigma der strategischen Verteidigung ersetzt. Dazu schickte das Pentagon seinen Generalleutnant Antonio A. Aguto in die Ukraine, der zwar keine Vorstellung von strategischer Verteidigung hat, allerdings die Streitkräfte der Ukraine reformieren soll. Die USA wollen die ukrainische Militärmacht und Wirtschaft stärken, um das Land auf eine mögliche Offensive im Jahr 2025 vorzubereiten", fügt Koschkin hinzu.

Russland sollte im Gegenzug die im Rahmen der speziellen Militäroperation gestellten Aufgaben erfüllen. "Die Initiative liegt jetzt bei uns. Die Arbeit der Rüstungsproduktion ist in Gang gebracht. Doch zunächst müssen wir die Frontlinie von Donezk wegschieben, um die Zivilisten dort zu schützen. Und das tun wir erfolgreich. Wir unternehmen auch alle Anstrengungen, um die Bedrohung durch Marschflugkörper zu neutralisieren, weil die für die Ukraine zu einem Kampfmittel des staatlichen Terrorismus wurden. Mit diesen Systemen nehmen sie Wohngebiete unter Beschuss", erklärt Koschkin.

Die neue Strategie der USA soll auch garantieren, dass der Republikaner Donald Trump im Fall seines Siegs bei den US-Präsidentschaftswahlen im November nicht etwa die Unterstützung Kiews einstellt. "Die Demokraten versuchen, Trump mit Rufschädigung zu bekämpfen. Das ist ein innenpolitischer Kampf. Doch selbst wenn die Administration im Weißen Haus wechseln sollte, wird der hybride Krieg der USA gegen Russland nicht enden. Die USA werden weiterhin auf eine Zerstörung Russlands hinarbeiten", warnt der Experte.

Auch Igor Korotschenko teilt die Ansicht, dass sich Russland keine Illusionen bei einem möglichen Regierungsantritt Trumps machen sollte. "Trump ist eine absolut unberechenbare Figur. Innenpolitische Streitereien in den USA haben den Charakter eines erbitterten Wahlkampfs. Deswegen besteht unsere Aufgabe darin, dem Gegner den größtmöglichen Schaden zuzufügen, den Verlauf und die Aufgaben der Militäroperation so anzupassen, dass die Ukraine ihr Potential nicht stärken kann, sondern weiter einbüßt, damit schließlich solche Bedingungen entstehen, unter denen sie nicht mehr die Kraft hat, Russland Widerstand zu leisten", meint der Chefredakteur der Zeitschrift Nationale Verteidigung.

Übersetzt aus dem Russischen und zuerst erschienen bei Wsgljad.

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