International

Annahme der Entschließung zu Srebrenica: Will sich Deutschland reinwaschen?

Die westlichen Länder drängen erneut auf die UN-Resolution zum Völkermord von Srebrenica, während Serbien vehement dagegenhält. Durch den Versuch, historische Wahrheiten neu zu verhandeln, entsteht ein Spannungsfeld, das den Frieden im Westbalkan gefährden könnte.
Annahme der Entschließung zu Srebrenica: Will sich Deutschland reinwaschen?Quelle: AFP © Bertrand Guay

Von Marinko Učur

Mit ihren eigenen Problemen und ihrer Unfähigkeit beschäftigt, den Verlauf des Krieges in der Ukraine in den Griff zu bekommen, trotz der enormen Ressourcen, die sie in Selenskijs Regime investieren, sind die großen westlichen Länder auf eine "originelle" Idee gekommen: Zum zweiten Mal in den vergangenen zehn Jahren wollen sie in der UNO die sogenannte Entschließung zum Völkermord von Srebrenica "durchsetzen".

Auf Initiative Deutschlands und Ruandas (?!) läuft der Versuch, eine einfache Mehrheit zu erreichen, damit das unverbindliche Dokument in der UN-Generalversammlung verabschiedet werden kann. Die Befürworter der Entschließung denken nicht über die Folgen ihrer eventuellen Verabschiedung nach, da der ohnehin fragile Frieden im Westbalkan destabilisiert werden könnte.

Großbritannien versuchte 2015, eine ähnliche Entschließung durchzusetzen, doch Russland legte damals als ständiges Mitglied des Sicherheitsrats ein Veto ein. Dies wird als Versuch wahrgenommen, die Nazi-Vergangenheit Deutschlands so "reinzuwaschen", indem jemand anderes, in diesem Fall Serben, aufgrund des Leids der Muslime in der Enklave Srebrenica während des Bürgerkriegs im ehemaligen Jugoslawien öffentlich an den Pranger gestellt werden. Es erübrigt sich zu erwähnen, dass eine ähnliche Entschließung gegen Deutschland wegen des Leids von dutzenden Millionen Menschen im Zweiten Weltkrieg nie eingeleitet wurde.

Das umstrittene Dokument sieht vor, dass jedes Jahr der 11. Juli als "Internationaler Tag der Erinnerung an den Völkermord in Srebrenica 1995" begangen wird. Unterdessen startet Serbien eine heftige Lobbykampagne gegen die Verabschiedung. Der Präsident des Landes, Aleksandar Vučić, kündigte die Entsendung seines Sondergesandten nach New York an, um auf die Schädlichkeit des Versuchs, die Entschließung zu verabschieden, und des Herunterspielens der Schuld jener, welche die Schuldigen und Anstifter aller früheren Kriege und des Leides auf der ganzen Welt sind, hinzuweisen. Er kündigte außerdem an, dutzende Nachrichten an die wichtigsten Adressen der Welt zu senden, um Opfer nicht mit tatsächlichen Verbrechern gleichzusetzen.

Auf das Massenleiden der Serben im Ersten Weltkrieg und den Völkermord an 700.000 Serben im Konzentrationslager Jasenovac im Unabhängigen Staat Kroatien während des Zweiten Weltkriegs blicken die Verfasser der Entschließung nicht einmal zurück, sondern suchen nach einer Möglichkeit, die Aufmerksamkeit vom Aufkommen des Neonazismus in der Ukraine und von Verbrechen mit genozidalen Merkmalen gegen Zivilisten im Gazastreifen abzulenken.

Das serbische Argument gegen dieses Dokument, das zwar unverbindlich ist, aber gewisse Konsequenzen für Land und Volk mit sich bringt, ist, dass die Serben in den beiden Weltkriegen immer auf der Seite der Sieger gestanden und massiv gelitten hätten und dass dies den Urhebern der Entschließung nicht das Recht einräumt, der gesamten Nation eine Hypothek der Kollektivschuld aufzuerlegen. Das unbestrittene Verbrechen, das serbische Streitkräfte während des jugoslawischen Bürgerkriegs in Srebrenica an Tausenden von Muslimen begangen haben, ist ein schmerzhafter Fakt, dem die Serben bereits ins Auge gesehen haben. Schließlich wurden einige der höchsten serbischen Militär- und Zivilführer vor dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (IStGHJ) in Den Haag verurteilt.

In den letzten Jahren haben fast alle serbischen Staats- und Regierungschefs den Opfern von Srebrenica Ehrfurcht entgegengebracht, was jedoch nicht die erwartete Reaktion der anderen Seite auslöste. Im Jahr 2015, während des Gedenkens an die Opfer von Srebrenica, versuchten Extremisten sogar, den damaligen Premierminister Serbiens, Aleksandar Vučić, zu lynchen, der den Opfern des Leids Tribut zollen wollte. Bisher wurde niemand für den offensichtlichen Versuch, den Führer eines fremden Landes zu ermorden, zur Verantwortung gezogen, noch wurde ein entsprechendes Gerichtsverfahren eingeleitet.

Eine besondere Gefahr birgt die Tatsache, dass versucht wird, in der internationalen Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, dass die Republika Srpska, eine der beiden 1995 in Dayton bestätigten Entitäten von Bosnien und Herzegowina, ebenfalls umstritten sei und dass in Übereinstimmung mit der Atmosphäre, die durch die Annahme der umstrittenen Entschließung geschaffen würde, sowie durch einen angeblichen Versuch, das Friedensabkommen von Dayton neu zu definieren, an ihrer Zerschlagung gearbeitet wird. Denn diejenigen, die das Interesse und die politische Motivation haben, über ein solches Dokument zum zweiten Mal in den vergangenen zehn Jahren in der Generalversammlung zu debattieren, sind zweifellos auch an der Neuzusammensetzung von Bosnien und Herzegowina interessiert. Dies bedeutet, dass auch seine verfassungsmäßige Ordnung ‒ die durch die drei Völker, nämlich die Serben, Kroaten und Bosniaken, und durch die Gleichberechtigung zweier Einheiten, der Republika Srpska und der Föderation Bosnien und Herzegowina, konstituiert wird ‒ infrage gestellt werden könnte.

Wer ist bereit, die "Büchse der Pandora" zu öffnen? Welche Kräfte wollen darüber hinwegsehen, dass auf dem Balkan alles nach dem Prinzip kommunizierender Röhren funktioniert und die neu entstandene Lage in eine ungewollte Richtung eskalieren könnte? Der israelische Historiker Gideon Greif, der von 1992 bis 1995 Leiter der Unabhängigen Internationalen Kommission zur Untersuchung des Leidens aller Völker in der Region Srebrenica war, wies einst darauf hin, "dass der Begriff Völkermord niemals trivialisiert oder banalisiert werden darf". Die von ihm geleitete Kommission stellte fest, dass die Militäraktion in dem kleinen Gebiet Bosnien und Herzegowina, bei der alte Menschen, Frauen und Kinder in Sicherheit gebracht und ein Teil der Männer im wehrfähigen Alter getötet wurden, nicht mit den genozidalen Gräueltaten von Deutschland, als die Nazis Europa besetzten, oder Ruanda zu vergleichen sei, wo alle Männer, Frauen und Kinder in organisierten Kampagnen systematisch gnadenlos getötet wurden.

In einer Lage, in der das Völkerrecht ernsthaft auf die Probe gestellt wird, in der mächtige westliche Länder um jeden Preis ihre Version der "Wahrheit" verkünden wollen und in der sie sich durch das Strohmann-Argument und durch eine Änderung historischer Fakten reinwaschen wollen, sind offensichtlich nicht nur Russland und Serbien, sondern auch die Republika Srpska ein geeignetes Ziel. Dies allein schon wegen der Tatsache, weil nur die Serben in einem vollständigen NATO-Umfeld weder eine Mitgliedschaft noch ein westliches Militärbündnis in ihrem Hinterhof akzeptieren.

Mehr zum ThemaKampfjets aus Frankreich: Serbien diversifiziert seine Waffenlieferanten

RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.