Lateinamerika

Argentinien: Der Präsident ist keineswegs der Libertäre, als der er sich gerne ausgibt

Der kürzlich neugewählte argentinische Präsident Javier Milei behauptet, ein freiheitsliebender "anarchistischer Kapitalist" zu sein. Aber wenn man an seiner Fassade kratzt, dann kommt ein Faschist hervor. Er wird zwangsläufig staatliche Repressionen einsetzen müssen, um seine Politik durchzusetzen.
Argentinien: Der Präsident ist keineswegs der Libertäre, als der er sich gerne ausgibtQuelle: www.globallookpress.com © Global Look Press via Keystone Press Agency / Präsidialamt der Ukraine.

Von Bradley Blankenship

Der rechtsextreme argentinische Ökonom und sogenannte "Libertäre" Javier Milei wurde kürzlich zum Präsidenten seines Landes gewählt. Er versprach, die Inflation zu bekämpfen und mitten in einer schweren Wirtschaftskrise den Vorschlaghammer gegen den Staatsapparat einzusetzen. Aber seine vorgeschlagenen Maßnahmen werden höchstwahrscheinlich kein Allheilmittel für die Probleme Argentiniens sein und – was noch wahrscheinlicher ist – dem Land nur noch mehr Schaden zufügen.

Bevor wir auf die besonderen Positionen von Javier Milei näher eingehen, muss darauf hingewiesen werden, dass die derzeitige Wirtschaftskrise Argentiniens direkt dem ehemaligen rechtskonservativen Präsidenten Mauricio Macri zuzuschreiben ist, der das Amt von 2015 bis 2019 innehatte. Er trat dieses Amt an, indem er gleichzeitig einen massiven Kredit des Internationalen Währungsfonds (IWF) für das Land aufnahm – in der Hoffnung darauf, seine politische Glaubwürdigkeit vor einer harten Wiederwahl zu stärken, die er schließlich trotzdem verlor. Es waren diese massiven unbezahlbaren Schulden, die sich bis in die Amtszeit des scheidenden Präsidenten Alberto Fernández hinzogen und zur Hyperinflation im Lande beitrugen. Die Geschichte der argentinischen Wirtschaft ist lang und kompliziert, etwa alle sechs Jahre gerät die argentinische Wirtschaft in eine Krise. Aber diese jüngste Krise kann man direkt auf dieselbe Art von Sparmaßnahmen und von westlichem Stiefellecken zurückführen, die wir heute wieder vor uns sehen.

Vorhang auf für Javier Milei: Er möchte sich genau denselben Richtlinien und Institutionen anschließen, die bereits in der Vergangenheit die argentinische Wirtschaft ruiniert haben, namentlich dem IWF und dem kollektiven Westen, vor allem aber den Vereinigten Staaten von Amerika. Gleichzeitig will er die Souveränität seines eigenen Landes völlig aufgeben, indem er den US-Dollar als Verkehrswährung einführt. Er möchte die Beziehungen zu großen Ländern wie China aus rein ideologischen Gründen abbrechen, ganz zu schweigen davon, wie lächerlich dies die Lieferketten Argentiniens kappen und dessen Platz im internationalen Handel zerstören würde. Er hatte außerdem versprochen, den Beitritt zum BRICS-Format aufzugeben – was er offiziell mittlerweile auch getan hat – und sich stattdessen der angeblich "zivilisierten" Welt hinzuwenden – also zu Nordamerika, zur EU und deren Partnern, einschließlich Israel.

Es ist klar, dass dies angesichts der langfristigen Entwicklung der wirtschaftlichen, politischen und diplomatischen Macht, die sich nach Osten wendet, nicht nur tollkühn ist, sondern auch ein offener Verrat am eigenen, argentinischen Volk. Der Verzicht auf eine souveräne Währung – so wie es Ecuador und El Salvador taten, beides Länder, die ebenfalls regelmäßigen wirtschaftlichen Turbulenzen ausgesetzt sind – würde garantieren, dass die Geldpolitik von Buenos Aires in Washington, D.C. bestimmt wird. Ohne fiskalischen Austausch und Arbeitsmarktintegration würde dies Argentinien faktisch zu einer US-Kolonie machen.

 Darüber hinaus möchte Milei praktisch jede Regierungsbehörde abschaffen – und damit einen libertären feuchten Traum in Erfüllung bringen, den ihm vielleicht sein vertrauenswürdigster Berater, sein verstorbener Hund, vermittelt hat. Das ist kein Witz: Wirklich, er lässt sich von seinem toten Hund beraten. Die ökonomisch berechenbaren gesellschaftlichen Kosten einer Kürzung im Bildungs-, Gesundheits- und Transportwesen sowie in der Technologie wären nicht nur immens, sondern würden Argentinien mit ziemlicher Sicherheit innerhalb einer Generation zu einem wirtschaftlichen Nullfaktor machen und bestenfalls zu einem Dauerbrenner als Opfer von Auswanderung.

Andererseits ist es auch wichtig anzumerken, dass er kein reiner Anarchokapitalist oder Marktlibertärer ist, wie er gern von sich selbst behauptet. Wenn man sich seine politischen Vorschläge genauer ansieht, dann sind hier einige "Glanzlichter" hervorzuheben: Militarisierung der Institutionen während der Übergangszeit, Aufbau eines gewinnorientierten öffentlich-privaten Gefängnissystems, Lockerung der Vorschriften für die Inhaftierung von Menschen, Einführung von Zwangsarbeit für Strafgefangene – so dass sie nicht freigelassen werden können, ohne zuerst wirtschaftlich produktiv gewesen zu sein –, die Herabsetzung des Alters der Strafmündigkeit von Minderjährigen, also das Alter, in dem jemand gesetzlich als moralisch urteilsfähig gilt und daher strafrechtlich verurteilt werden kann, sowie die Schaffung eines nationalen Überwachungsnetzwerks mit Kameras samt Gesichtserkennung.

Die Befürworter von Milei sind davon überzeugt, dass er mit seinem Mandat nun auf einer Anti-Kriminalitäts- und marktorientierten Reformwelle reiten wird, und dies vor dem Hintergrund steigender Kriminalität im Land und einer außer Kontrolle geratenen Linken, die zuvor das Scheitern der argentinischen Wirtschaft eingeläutet hatte. Im Gegenteil, die Politik von Milei wird die materiellen Bedingungen – nämlich Armut und Elend, was beides die Kriminalität vorantreibt – nicht lindern. Seine Politik der harten Bekämpfung der Kriminalität, wird völlig im Widerspruch zu dem stehen, was Libertäre zu glauben behaupten. Sie ist bestenfalls ein Pflaster auf einer klaffenden Wunde. Schlimmstenfalls ist klar, dass er den gleichen Weg einschlagen wird wie andere ehemalige Freunde des ungezügelten Kapitalismus: Harte Männer wie etwa Chiles ehemaliger Diktator Augusto Pinochet.

 Obwohl viele der ursprünglichen Neoliberalen den Diktator Pinochet als ihren Mann lobten und er tatsächlich die erste prototypische neoliberale Verfassung der Geschichte in Chile umsetzte, blieb dies alles eine Farce. Tatsächlich begann der chilenische Staat nämlich von 1975 bis 1982 stärker in die Wirtschaft einzugreifen – zu einer Zeit also, die als "rein monetaristisches Experiment" beschrieben wird und sich im Wesentlichen mit der Diktatur von Pinochet überschnitt, anstatt mit der früheren Zeit der gestürzten sozialistischen Regierung von Salvador Allende. Diese vermeintliche Periode der lockeren Zügel war in Wirklichkeit durch starke staatliche Kontrolle der Wirtschaft und staatliche Repression gekennzeichnet, die darauf abzielte, den Widerstand gegen die unpopuläre Politik auszumerzen – eine Politik, die nur geringes Wirtschaftswachstum bewirkte, was schlussendlich in einer Bankenkrise gipfelte.

Während Milei behauptet, ein Libertärer und Kapitalist des freien Marktes zu sein, hat er bereits gezeigt, dass er eine autoritäre Ader hat. Darüber hinaus musste sich schon sein rechtskonservativer Vorgänger Macri mit der politischen Realität auseinandersetzen, zum Beispiel mit der Tatsache, dass Sparmaßnahmen außerordentlich unpopulär sind, was dazu führte, dass seine Reformen ins Stocken gerieten. Milei wird zwangsläufig staatliche Repressionen einsetzen müssen – insbesondere gegen die Linken, die er offen entmenschlicht –, um seine Politik durchzusetzen, wenn er auch nur die Hälfte dessen erreichen will, was er öffentlich erklärt hat. Aber es wird für Argentinien unmöglich werden, gleichzeitig eine Demokratie und ein degenerierter, rechter und halbfeudaler Staat zu sein.

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Übersetzt aus dem Englischen

Bradley Blankenship ist ein in Prag lebender amerikanischer Journalist, Kolumnist und politischer Kommentator. Er hat eine Kolumne bei CGTN und ist freiberuflicher Reporter für internationale Nachrichtenagenturen, darunter die Nachrichtenagentur Xinhua. Man findet ihn auf X unter @BradBlank_.


 

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