Meinung

Kein Genozid im Donbass? Erinnern wir uns an Odessa 2014...

Vielleicht wird nach dem Besuch von Olaf Scholz bei Wladimir Putin die Hysterie in den deutschen Medien etwas heruntergedreht, und vielleicht lässt die NATO doch die Finger vom Krieg. Aber wirklicher Frieden mit Russland setzte voraus, das Gegenüber zu verstehen. Dafür bräuchte es die Wahrheit über die Ukraine.
Kein Genozid im Donbass? Erinnern wir uns an Odessa 2014...Quelle: www.globallookpress.com © Zacharie Scheurer

von Dagmar Henn

Der kurze Wortwechsel auf der Pressekonferenz zwischen dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und Bundeskanzler Olaf Scholz war bezeichnend. Auf Putins Bemerkung, es habe bereits Krieg in Europa gegeben, nämlich in Jugoslawien, und mit Belgrad sei eine europäische Hauptstadt bombardiert worden, erwiderte Scholz, dabei sei es darum gegangen, einen Genozid zu verhindern. Und von Putin kam die Antwort, das, was im Donbass geschehe, sei ebenfalls ein Genozid.

Das dürfte das russische Publikum verstehen, aber wer versteht es in Deutschland? Der Grund dafür ist das anhaltende Schweigen zu Odessa. Damals, als die herangekarrten Truppen des Rechten Sektors am 2. Mai 2014 das Gewerkschaftshaus angriffen und Dutzende Menschen erschlugen oder erschossen (von den offiziell bekannten 48 Opfern, die obduziert wurden, waren viele nicht durch den Brand ums Leben gekommen), war allen, die die Ereignisse mitbekamen, klar, welchen Charakter die Kämpfe im Donbass annehmen würden. Dass es nicht um Eroberung und Unterwerfung ginge, sondern um Vernichtung.

Europa drückte beide Augen zu, fest. Das war zuvor schon so; noch vor dem Putsch in Kiew konnte man im Netz ein Video aus der Westukraine finden, auf dem Schüler einer dortigen Schule hüpften und riefen "Wer nicht hüpft, ist ein Moskauer, Moskauer ans Messer". Kinder, die hüpfend zum Mord aufriefen; ein wesentlich deutlicherer Hinweis auf die Anwesenheit von Faschisten, als die Fackelmärsche für Bandera in Kiew.

Für den Westen hat Odessa nie stattgefunden. Das machte es möglich, die Geschichte der vermeintlichen "jungen Demokratie" in der Ukraine immer weiter zu spinnen und den Aufstand im Donbass als eine Bewegung von Verwirrten und russischen Agenten darzustellen. Mit Odessa als Teil der Geschichte hätte das nicht funktioniert. Dann wäre es auch hier jedem kalt den Rücken hinuntergelaufen beim Lesen der Presseberichte damals, im Sommer 2014, als eine ganze Gruppe deutscher Journalisten sich zu einem Besuch bei Asow aufmachte, der militärischen Einheit des Rechten Sektors, um danach begeisterte Berichte über die tapferen Ukrainer zu schreiben.

Auch die ganzen Lügen, die über den Inhalt der Minsker Vereinbarungen verbreitet wurden, hätten nicht funktioniert. Weil man verstehen würde, welche Schrecken an der Wurzel der Entwicklung standen. Wie der 9. Mai in Mariupol, als die ukrainische Nationalgarde in die Stadt einfiel, um eine unbotmäßige Polizeizentrale einzunehmen, und wahllos Menschen auf der Straße niederschoss, neun Menschcen starben und 42 wurden verletzt.

Vor wenigen Tagen erst sah ich ein Video, das die Entwicklung in der Ukraine zusammenfassen sollte; ich bin mir nicht mehr ganz sicher, kann sogar sein, dass es Teil der Berichterstattung für Kinder bei Logo war. Ein kurzer Schnipsel aus Mariupol war zu sehen. Alles, was man sah, war einer dieser Nationalgardisten, der mit einem Gewehr in der Hand an einer Backsteinmauer mit großen Fenstern vorbeiläuft. Eine Bildfolge von wenigen Sekunden. Aber ich weiß, wie die Aufnahme weitergeht: die Kamera schwenkt vom Backsteingebäude auf die gegenüberliegende Seite der Kreuzung, an deren einer Ecke ein Café ist und an der anderen die vordere Seite der angegriffenen Polizeistation. Und diese Figur, die durchs Bild lief, oder eine der Gestalten neben ihm, feuert auf die Menschen, die zwischen Café und Polizeistation stehen und ihren Protest hinausrufen, und zwei davon gehen zu Boden.

An diesem einen Tag, und nur an diesem einen, gab es einen Reporter von ntv dort, der berichtete, was wirklich geschehen war. Das sollte sich nie mehr wiederholen.

Bis heute ist nicht bekannt, wie viele Opfer es in Odessa tatsächlich gab. Irgendwo in den Archiven womöglich einer deutschen Fernsehanstalt lagern noch Aufnahmen aus Odessa, die nie gezeigt wurden; denn auf den Streams, die zeigen, wie die Faschisten eine Tür im Gewerkschaftshaus aufbrechen, sieht man ein komplettes Kamerateam mit professioneller Ausrüstung. Das hat mit Sicherheit auch Momente davor aufgenommen, ehe sie in das Gebäude eindrang, die Meute auf dem Kulikowo-Platz, die "Heil der Ukraine, den Helden Heil!" brüllte.

Odessa wird so verschwiegen, wie die Wahrheit über den Generalplan Ost verschwiegen wird; das entbehrt nicht einer gewissen historischen Konsequenz. Dass der geheuchelte Antifaschismus der Bundesrepublik, der schon über vierzig Jahre brauchte, um den Massenmord an den europäischen Juden als Realität anzuerkennen, weitere vierzig Jahre später immer noch nicht über die geplante Vernichtung der sowjetischen Bevölkerung spricht; im Gegenteil. Während die Bevölkerung im Donbass sehr wohl darüber Bescheid weiß, und die Ereignisse von Odessa auch deshalb sehr klar zu deuten wusste.

In Kiew legten beide deutschen Besucher der letzten Wochen, Außenministerin Annalena Baerbock und Bundeskanzler Olaf Scholz, einen Kranz nieder beim Denkmal der "Himmlischen Hundertschaft." Damit bekräftigten sie eine Erzählung, die falsch ist, wie sie wissen müssten. Bis heute ist nicht geklärt, wer damals Scharfschützen auf den Maidan schickte, die beide Seiten unter Feuer nahmen, weil sich keine ukrainische Regierung seitdem um wirkliche Aufklärung bemüht hat; aber es gibt da diese Interviews einer italienischen Fernsehanstalt mit drei Georgiern...

Da ist immer noch keine Einsicht. Noch immer kein Abweichen von der Geschichte, die uns seit 2014 serviert wird. Die deutschen Medien stehen wie eine Festung und beklagen allerhöchstens, dass keine Waffen an die Ukraine geliefert werden. Olaf Scholz tut so, als könne er gar nicht nachvollziehen, warum sich Russland bedroht fühlen könnte. Dabei lässt sich das schnell begreifen, wenn man an tausend zerstörte Städte denkt, an 70.000 zerstörte Dörfer, an 27 Millionen Tote, und dann die Bilder von Odessa 2014 sieht. Wer da die Bedrohung nicht wahrnimmt, ist nicht mehr am Leben.

In Russland wurde nicht nur sehr wohl wahrgenommen, was in Odessa geschehen war, sondern auch die Reaktion des Westens. Die Tatsache, dass solche Ereignisse wie in einem schwarzen Loch verschwinden konnten. Dass danach das Gleiche mit dem Krieg im Donbass passierte. Wie anders kann man das denn deuten  als ein klares "solange es gegen Russen geht, ist alles erlaubt?" Während hier, abgesehen von einer Sendung der "Anstalt", die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender ganze zwei Zeilen dafür übrig hatten: "Bei Auseinandersetzungen zwischen Pro-Europäern und Prorussen in Odessa geriet ein Gewerkschaftshaus in Brand."

Wer die Bilder damals gesehen hat, aus Odessa, vergisst sie nie wieder. Sie tragen den gleichen Schrecken mit sich wie die alten Fotografien aus den Nazi-Konzentrationslagern; aber sie sind Teil der Gegenwart, nicht der Geschichte. Sie sind Teil und Ergebnis der NATO-Strategie, der jeder faschistische Verbrecherhaufen recht ist, sofern er in die passende Richtung marschiert. Scholz begreift nicht, wie Russland sich von einer Aufnahme der Ukraine in die NATO bedroht fühlen könnte? Die Videoaufnahmen von dem Massaker in Odessa dauern mehrere Stunden. Er sollte sie sich ansehen. Vielleicht begreift er es dann.

Es wird spannend werden, zu lesen, wie die deutsche Presse über den Beschluss der Duma zur Anerkennung der beiden Donbassrepubliken berichtet. Weil ja "Opposition" hier immer Gestalten wie Nawalny sind, solche, die ihr Land ausliefern wie Jelzin. Auf einmal müssten sie berichten, dass es da noch andere Positionen gibt, dass ihre Darstellung vom "Autokraten Putin", der in Russland hinter jedem Baum steht und alles kontrolliert, nicht stimmt; und dass in Wirklichkeit Putin der Vertreter einer gemäßigten Position ist.

Wer Odessa gesehen hat, versteht das. Weshalb sich eine ernsthafte Bereitschaft einer deutschen Regierung zum Frieden mit Russland an zwei Dingen belegen ließe. Nicht an der Haltung zu Nord Stream 2, das ist im deutschen Interesse. Aber daran, dass ernsthaft und unter Einsatz vorhandener Druckmittel Kiew gegenüber darauf bestanden wird, dass direkte Verhandlungen mit dem Donbass stattfinden müssen (was mit einschließt, es mit allen Konsequenzen zu akzeptieren, wenn der Donbass sie nach sieben Jahren nicht mehr führen wollte), und - das Schweigen um Odessa zu brechen.

Irgendwann kommt die Wahrheit ans Licht. Das war so beim Tonkin-Zwischenfall wie auch beim ersten und zweiten Irakkrieg. Die Wahrheit über die Ukraine, die sich der Westen herangezüchtet hat, ist hässlich, und einige deutsche Gestalten wie Frank-Walter Steinmeier hinterlässt sie besudelt; aber wirklicher Frieden mit Russland liegt dahinter. Die Geschichte, die uns hier serviert wird, dient nur dem Zweck, gegen Russland Front zu machen. Es sind jetzt acht Jahre. Zeit, in die Wirklichkeit zurückzukehren.

RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

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