Meinung

Die Angst deutscher Medien vor der Welt – zum Umgang mit unbequemen Tatsachen

Dem fast zweistündigen Auftritt Wladimir Putins vor der Föderalen Versammlung folgte drei Tage später noch ein Plan Chinas zur Beilegung des Ukraine-Kriegs. Anstatt diese zwei Dokumente zum Zeitgeschehen so wie sie sind – im Original – zu dokumentieren, greifen deutsche Leitmedien sofort zur Manipulation.
Die Angst deutscher Medien vor der Welt – zum Umgang mit unbequemen TatsachenQuelle: www.globallookpress.com © Imago

Von Wladislaw Sankin

Normalerweise finden die traditionellen Reden Wladimir Putins vor der Föderalen Versammlung in der ersten Jahreshälfte statt. Es ist alljährlich die wichtigste Botschaft des Präsidenten an das russische Volk und dessen gewählte Vertreter. Darin teilt er die Pläne der Regierung im Inneren mit, die fast jeden betreffen. Aber nicht weniger wichtig ist stets auch seine Bewertung der aktuellen internationalen Lage.

Im letzten Jahr fiel die Rede wegen des Beginns der russischen Militäroperation in der Ukraine aus. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass am 21. Februar politisch Interessierte in der ganzen Welt auf die diesjährige Rede besonders gespannt waren. Diesmal dauerte die Ansprache länger als normalerweise knapp zwei Stunden. Innen- und außenpolitische Themen wechselten sich ständig, und auf das Grundsätzliche zu globalen Fragen folgten immer wieder auch viele technische Details, etwa zu sozialen Programmen, und auch umgekehrt.

Also fasste es das ZDF im Grunde ganz richtig zusammen, als in einem Artikel zu den Reaktionen auf Putins Auftritt gleich die Rede von der ganzen Welt war. Allerdings sei laut dem Sender die ganze Welt von Putins Botschaften völlig angewidert gewesen. Es sei schließlich Quatsch und Unsinn gewesen, was er da geredet hatte. In der Überschrift beim ZDF hieß es:

"'Propaganda': Wie die Welt auf Wladimir Putins Rede reagiert"

Voller Neugier klickte ich auf den Artikel. Solch einen Eindruck hatte ich noch nie und wollte für mich vor allem klären, wem in der Welt – und was genau – an der Rede so nicht gefallen hatte. Wohin drehte sich nun plötzlich der globale Wind? Gibt es in Afrika und Lateinamerika jetzt die Putin-Kritiker, die ich noch nicht kenne? Meine Spannung wuchs, als ich im Teaser die weiteren zwei Sätze las:

"Bedauerlich, bedrückend, Propaganda: Wladimir Putins Rede knapp ein Jahr nach Kriegsbeginn erntet weltweit Kritik – und macht wenig Hoffnung auf baldigen Frieden."

Also lese ich den Artikel. Als erstes erfahre ich, dass der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz die Pläne Putins, den "New START"-Abrüstungsvertrag mit den USA auszusetzen, scharf kritisiert hat. Der Kreml-Chef sei auf einem Pfad unterwegs, der sehr bedrückend sei, so kommentierte Scholz die Ankündigung. Dann kommt der US-Außenminister Antony Blinken zu Wort: "Die Ankündigung Russlands, seine Teilnahme an New START auszusetzen, ist äußerst bedauerlich und unverantwortlich."

An nächster Stelle wird ein Video mit dem deutschen Korrespondenten aus Warschau eingebettet, wo bald eine Rede von Joe Bidens zu erwartet ist. Er erläutert kurz die US-Position zu Putin und zur Ukraine. Dann schlägt schon die Stunde des NATO-Sprachrohrs Jens Stoltenberg. Er wird mehrfach zitiert: Putins habe einen "imperialen Eroberungskrieg" gegen die Ukraine begonnen. Dann sagt er seine Meinung zur russischen Aussetzung des "New START"-Abrüstungsvertrags, die Putin in seiner Rede im Übrigen als einen längst überfälligen Schritt – wegen des hinterlistigen Verhaltens der NATO-Staaten – ausführlich begründet hat: "Mehr Atomwaffen und weniger Rüstungskontrolle machen die Welt gefährlicher."

Dann folgen vorhersehbare Reaktionen aus der Ukraine. Sie wolle die "verantwortlichen" Russen zur Rechenschaft ziehen, ganz so als ob der Sieg über Russland kurz bevorsteht. Russland sei "strategisch am Verlieren", meint dazu ein Offizieller in Kiew. Die Meinung des Generalsekretärs der FDP in Deutschland erfahren wir als nächstes:

"Putin dreht an der Eskalationsschraube", sagte Bijan Djir-Sarai gegenüber t-online.de. Damit sei klar, dass "dem Kreml nicht an einer Deeskalation der Situation gelegen" sei. Und endlich, am Ende des Artikels kommt das titelspendende Zitat: "Es war Propaganda", sagte die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni über die Rede des russischen Präsidenten Wladimir Putin zur Lage der Nation.

Also fassen wir kurz zusammen. Für "weltweite Reaktionen" hat der deutsche öffentlich-rechtliche Sender ZDF (eigenes Motto: "Mit dem Zweiten sieht man besser") stellvertretend die Meinungen von zwei Deutschen, einem Norweger, einem US-Amerikaner, einem Ukrainer und einer Italienerin ausgewählt. So klein und eng ist nun mal "die Welt" geworden, wenn es darum geht, den russischen Präsidenten als "Bösewicht" zu verurteilen.

Ähnlich gehen die deutschen Medien auch mit Nachrichten aus der Volksrepublik China um. Zum ersten Mal seit Beginn der russischen Militäroperation in der Ukraine hat China am Freitag seine Vorschläge zur Beilegung der Krieges und zu damit verbundenen internationalen Krisen systematisch zu Papier gebracht. Im Vorfeld wurde der chinesische Zwölf-Punkte Plan sogar als "Friedensplan" von Xi bezeichnet. Zweifellos ein bemerkenswertes Ereignis in der internationalen Diplomatie.

Als die Erklärung des chinesischen Außenministeriums zur fernöstlichen Morgenstunde dann veröffentlicht wurde, reagierte die Deutsche Presse-Agentur (dpa) mit einem nächtlichen Kurzartikel zügig und schnell. Der dpa-Artikel fasste ganz kurz einige Punkte zusammen, darunter die Feststellung, dass die Souveränität und territoriale Integrität aller Länder zu respektieren sei. Dies hat die dpa sogleich als einen versteckten chinesischen Seitenhieb gegen Russland interpretiert.

Unerwähnt blieb dagegen die chinesische Kritik an westlicher Block-Bildung und an einseitiger Sanktionspolitik. Statt die Punkte einfach so wie sie sind wiederzugeben, hat die dpa nur ausgewählte, genehme Punkte zitiert und sie durch Verweis auf ungenannte Diplomaten sogleich als wenig glaubwürdig eingeordnet: "Es wurde auf die besondere Nähe Chinas zu Russland und seine mangelnde Neutralität verwiesen." Von wem denn? Das blieb unklar.

Es ist bekannt, dass die dpa alle deutschen Medien, schwerlich zu ignorieren, durch Abonnements rund um die Uhr mit Nachrichten versorgt. Vor allem kleinere und regionale Medien sind somit auf dpa-Artikel angewiesen. Also ausgerechnet sie bekamen am frühen Morgen diese verkürzte und damit völlig verzerrte Version des chinesischen Plans. Unwahrscheinlich, dass sie später dieses Thema noch einmal selbst und kritisch aufgreifen würden. Denn wenige Stunden später erschien bei der dpa ein weiterer, ausführlicher Artikel, der fast aus allen Punkten des Plans zitiert hat, allerdings mit der tendenziösen Überschrift:

"China ruft zu Waffenstillstand in Ukraine auf – Skeptische Reaktionen"

Da ich den Plan selbst schon gut kenne, weil ich zuvor bereits selbst darüber einen Artikel verfasst hatte, habe ich sogleich nach den versprochenen "skeptischen" Reaktionen gesucht. Diese sind dort mit einem einzigen Satz wiedergegeben:

"Die Bemühungen Chinas, sich mit solchen Vorschlägen stärker in eine Friedenslösung einzubringen, werden allerdings mit Skepsis betrachtet, da die chinesische Führung den russischen Angriffskrieg bis heute nicht einmal verurteilt hat."

Wiederum erfahren wir über die gesamte Länge des dpa-Textes nicht, wer und wann solche Skepsis geäußert haben sollte. Diese "Skepsis" hat offenbar ein dpa-Journalist einfach mal für uns als schnelle Kost zusammengefasst. Danke für diese sehr schöne intellektuelle Dienstleistung! Da die meisten Leser nur die Überschriften lesen, werden sie durch einen einzigen kleinen Hinweis gleich wissen, dass Chinas Forderungen und Vorschläge eigentlich wenig glaubwürdig sind. Deshalb ist es auch nicht der Mühe wert, sich damit näher zu befassen und für weitere Recherche beispielsweise eine RT-Seite aufzusuchen oder das Original auf der Seite des chinesischen Außenministeriums anzuklicken. Denn dann werden sie auch solche Sätze wie diese nicht lesen können:

"Peking ruft dazu auf, die Mentalität des Kalten Krieges aufzugeben, und weist darauf hin, dass die regionale Sicherheit nicht durch die Stärkung und Ausweitung von Militärblöcken gewährleistet werden kann. Alle Parteien sollten sich um eine nachhaltige europäische Sicherheitsarchitektur bemühen und sich 'dem Streben nach eigener Sicherheit auf Kosten der Sicherheit anderer widersetzen, eine Blockkonfrontation verhindern und sich gemeinsam für Frieden und Stabilität auf dem eurasischen Kontinent einsetzen'."

Denn das klingt fast schon ein wenig auch nach russischer Diplomatie. Oder nach einigen deutschen Oppositionellen gegen die dort herrschende Regierungspolitik. Die Leser dürfen sich aber nicht wegen zu viel NATO-Kritik aufregen. Auch die strikte chinesische Ablehnung der EU-Sanktionen gegen Russland, aber auch gegen andere Staaten, könnte den Lesern die Lust daran verderben. Aber warum denn? Weil China vom Westen u.a. ganz unmissverständlich fordert: "Die betroffenen Länder sollten aufhören, einseitige Sanktionen und die 'langarmige Gerichtsbarkeit' gegen andere Länder zu missbrauchen, um ihren Teil zur Deeskalation der Ukraine-Krise beizutragen."

Die deutschen Medien haben zweifellos eine sehr schwierige Aufgabe zu bewältigen. Es finden überall auf der Welt zu viele Sachen statt, die Bürger im eigenen Land zum Nachdenken bringen könnten. Darüber gar nicht zu berichten ist wohl noch keine Option – zumindest bislang nicht. Aber so zu berichten, dass möglichst alle Leser glauben würden, es lohne sich gar nicht, sich über bestimmte Dinge selbst zu informieren und gar nicht kritisch nachzufragen – dass muss man erst einmal zuwege bringen. Aber diese "Kunst" beherrschen sie mittlerweile!

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